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Value Kolumne von Hans Peter Schupp

21. AUGUST 2024

Kapitalanlage ist ein Spaziergang

Hans Peter Schupp, Vorstand der Fidecum AG und Portfoliomanager des Contrarian Value Euroland Fonds (ISIN: LU0370217092) über Erwartungen und die mathematischen Herausforderungen hoher Bewertungen.

Am 28. August wird der KI-Konzern Nvidia über die aktuellen Quartalsergebnisse berichten. Die Erwartungen sind dann sehr hoch. Schließlich ist der Marktwert des Konzerns allein in den vergangenen zwölf Monaten um unfassbare 2.000 Milliarden US-Dollar gestiegen, während der Gewinn der Firma „nur“ um 30 Milliarden Dollar zugelegt hat.

Aktienkurse haben natürlich vor allem etwas mit der tatsächlichen Gewinnentwicklung zu tun. Aber es gibt eben noch eine weitere Komponente – die Zukunftserwartungen, die sich in der Bewertung spiegelt. Der legendäre ungarische Investor André Kostolany beschrieb den Zusammenhang vor einem halben Jahrhundert so: Der Aktienmarkt ist wie ein Hund an der Leine seines Herrchens – der realen Wirtschaft – die gemeinsam einen Spaziergang unternehmen. Der Hund läuft einmal weit voraus, bleibt dann wieder zurück. Letztendlich aber kehrt er wieder zu seinem Herrn zurück. Übersetzt bedeutet das: Aktienkurse können von den langfristigen wirtschaftlichen Fundamentaldaten abweichen. Aber irgendwann werden sie sich wieder daran orientieren. Das gilt sowohl für gesamte Märkte als auch für einzelne Unternehmen.

Die herausfordernde Mathematik hoher Bewertungen

Mich selbst fasziniert bei der Unternehmensanalyse immer wieder, wie lang die Leine werden kann. Natürlich ist NVIDIA eine großartige Firma und ihre Chips sind derzeit das Herz der KI-Revolution. Aber würden Sie als Unternehmer die Firma wirklich zum aktuellen Marktwert von mehr als 3.000 Milliarden Dollar kaufen? Immerhin entspricht dies in etwa dem Bruttoinlandsprodukt Frankreichs, der siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt.

Zugegeben, die Entwicklung ist beeindruckend. Seit 2019 hat NVIDIA den Umsatz von 10 auf 60 Milliarden Dollar versechsfacht und weist 50 Prozent davon als Gewinn aus. Doch Anleger bezahlen aktuell das 50-fache dieses fantastischen Umsatzes und das 100-fache des unglaublich hohen Gewinns von 30 Milliarden Dollar.

Ich habe einmal nachgerechnet. Damit sich eine heutige Investition in Nvidia über die Dividende amortisiert, müsste der Konzern den Gewinn bis 2042 jedes Jahr um 30 Milliarden Dollar steigern und kontinuierlich 50 Prozent des Ertrags ausschütten. Der Umsatz müsste dann eine Größenordnung von 1.200 Milliarden Dollar erreichen.

Das ist natürlich möglich. Aber es wird sehr, sehr, sehr schwer. Der Weg von 10 auf 60 Milliarden Umsatz ist viel leichter als der von 60 auf 1200 Milliarden. Für den Bau neuer Chip-Fabriken sind schließlich hohe Investitionen nötig. Und phantastische, monopolartige Gewinnmargen locken Konkurrenten an. Doch selbst unter diesen heroischen Annahmen würde NVIDIA erst nach 5 Jahren ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 18 erreichen, was ungefähr dem langfristigen Durchschnitt des amerikanischen Aktienmarktes entspricht. In diesem Fall hätten heutige Anleger übrigens noch kein Geld verdient. Der Hund wäre nur stehengeblieben und hätte auf den Herrn gewartet. Damit sich ein Engagement lohnt, müsste die außergewöhnliche Wachstumsstory noch weit über das Jahr 2029 hinaus anhalten.

Disclaimer: Ergebnisse der Vergangenheit sind keine Garantie für die Zukunft

So etwas kommt allerdings selten vor. Je spektakulärer die Wachstumsraten einer Firma in der Vergangenheit waren, desto weniger robust erwiesen sie sich oft in der Zukunft. Erinnern Sie sich? Am Höhepunkt der Dot-Com-Blase im Jahr 2000 wuchs der Handy-Weltmarktführer Nokia rasant, die Perspektiven schienen grandios und die Aktie wurde deshalb mit dem Neunfachen des Umsatzes bezahlt. Dann änderte sich die technologische Entwicklung. Konkurrenten (Apple) tauchten auf, die hohen Erwartungen konnten nicht erfüllt werden. Der Aktienkurs fiel dramatisch, weil sowohl die Gewinnerwartungen als auch die Bewertung nun gleichzeitig reduziert wurden. Ein klassischer one-two-punch. Könnte das auch Nvidia drohen?

Wert schlägt Phantasie

Der Hund kommt zu seinem Herrchen zurück. Immer. Deshalb denken wir bei unseren Investments anders. Wir konzentrieren uns auf Firmen, deren Marktwert aufgrund von pessimistischen Erwartungen weit unter dem Niveau liegen, das wir als fundamental gerechtfertigt ansehen.

Ein Beispiel ist Vopak NV, ein Tanklagerunternehmen mit Sitz in den Niederlanden. Die Firma bietet seit 400 Jahren weltweit in seinen Terminals Lager- und Umschlagdienstleistungen für Chemikalien und Öl an. Weil Ölförderung und -konsum nicht am gleichen Ort und meist nicht einmal auf dem gleichen Kontinent erfolgt, war das lange Zeit ein lukratives Geschäft. Doch dann wurde es von kapitalstarken Wettbewerbern entdeckt. Die Lagerkapazitäten stiegen, die Gewinnmargen brachen ein und die Aktien von Vopak verloren im Jahr 2022 zwei Drittel Ihres Wertes.

Für uns war das eine spannende Ausgangssituation. Erste Konkurrenten schieden angesichts der schlechteren Konditionen wieder aus. Zudem reagierte Vopak und spezialisierte sich auf Kunden, bei denen nicht die reinen Lagerkosten, sondern die zuverlässige Lieferfähigkeit im Vordergrund standen. Inzwischen erwirtschaftet Vopak wieder das alte Margenniveau und der Aktienkurs hat sich verdoppelt. Der Hund war kurzfristig weit hinter seinem Herrchen hergelaufen und nähert sich ihm nun wieder an.

Viele Value-Unternehmen notieren weit unter ihrem fairen Wert.

Bei vielen sogenannten Value Unternehmen – insbesondere im Small- Mid Cap Segment – steht diese Bewegung noch aus. Deren Aktienkurse liegen nach unseren Berechnungen weit unter ihrem fundamentalen Wert. Für unseren Contrarian Value Euroland Fonds (ISIN: LU0370217092) investieren wir seit mehr als 25 Jahren in solche Gelegenheiten – unterbewertete Firmen mit nachvollziehbarem Geschäftspotential. Um es mit Kostolany zu sagen: Wir suchen nach Hunden, die weit hinter ihrem Herrchen laufen. Die Länge der Leine definiert dabei den Sicherheitspuffer des Investments. Ist er groß genug, sollten wir selbst dann eine vernünftige Rendite erzielen, wenn unsere Erwartungen nicht ganz erfüllt werden.

Der Autor: Hans Peter Schupp, Vorstand der Fidecum AG und Portfoliomanager des Contrarian Value Euroland Fonds.