Value Kolumne von Hans Peter Schupp
10. NOVEMBER 2023
Big Oil wird grün(er)
Die Ölmultis stehen derzeit in der Kritik. Nicht zum ersten Mal, diesmal aber wegen der hohen Ergebnisse, die sie während der Energiekrise einfahren. Bei den Konzernen sprudeln die Gewinne. Doch bei vielen stehen sie auch in der Kritik, weil sie fossile Brennstoffe fördern und – so die Kritiker – die Erde ausbeuten und die Umwelt verschmutzen. Das ist im Prinzip richtig. Was jedoch oft vergessen wird: Big Oil investiert auch enorme Summen in erneuerbare Energien. Sie werden grüner.
Die Zahlen sind zunächst beachtlich: So erzielte BP 2021 sogar das beste Ergebnis seit acht Jahren. Netto verdiente das Unternehmen 7,56 Milliarden Dollar. Sein Rivale Shell machte rund 20 Milliarden Dollar Gewinn. Die Konzerne verdienen also wieder prächtig. Aber der Druck zum Umbau mit Blick auf den Klimawandel ist gewachsen. Aktivisten, Regierungen, Gerichte und Investoren zwingen die Ölkonzerne dazu, nachhaltiger zu werden. Und die geben sich sehr viel Mühe, diesen Forderungen nachzukommen.
Shell will zwei bis drei Milliarden Dollar pro Jahr in erneuerbare Energien investieren
Nehmen wir unsere beiden Portfolio-Unternehmen Shell und die italienische ENI. So hat Shell vor kurzem den US-Solarparkentwickler Savion übernommen. Damit setzt der Konzern sein Vorhaben um, den Bereich erneuerbare Energien weiter zu stärken. Shell hatte im vergangenen Jahr angekündigt, pro Jahr zwei bis drei Milliarden Dollar in erneuerbare Energien zu investieren. Die Savion-Übernahme ist dabei nur die Fortsetzung einer ganzen Reihe von Investments, denn Shell hat ein ehrgeiziges Ziel: Bis 2050 will der Konzern klimaneutral sein, und bis 2030 soll der Kohlendioxid-Ausstoß gegenüber 2016 bereits um die Hälfte sinken. Als eine der am schnellsten wachsenden und kostengünstigsten erneuerbaren Energiequellen sei die Solarenergie ein entscheidendes Element der Strategie, hatte Shell damals die Übernahme begründet.
Doch damit nicht genug: So plant Shell den Bau der größten Anlage für grünen Wasserstoff in Europa. Diese soll in Rotterdam bereits 2025 in Betrieb gehen. Die neue Wasserstoffanlage mit Namen „Holland Hydrogen I“ wird dann in der Lage sein, bis zu 60.000 Kilogramm grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien pro Tag zu produzieren. Die Energie hierfür wird aus einem Offshore-Windpark in Hollandse Kust stammen, der sich ebenfalls teilweise im Besitz von Shell befindet. Der daraus gewonnene Wasserstoff wird den Shell Energy and Chemicals Park Rotterdam versorgen und einen Teil des in den Anlagen verbrauchten grauen Wasserstoffs ersetzen. Shell wird also immer grüner.
ENI ist Partner des MIT bei der Entwicklung eines neuen Kraftwerkkonzepts
Weltweit haben Ölkonzerne angekündigt, ihre Investitionen in die Bereiche Wind, Solar und Bioenergie deutlich zu steigern. So auch der italienische Ölkonzern ENI, ein Unternehmen, das hauptsächlich dafür bekannt ist, dass es sehr erfolgreich und ohne Partner neue Ölfelder erschließt. Weniger bekannt ist, dass ENI der größte Anteilseigner an Commonwealth Fusion Systems ist, ein Unternehmen, das zumindest unter Labor Bedingungen die Kernfusion erreicht hat. Das Unternehmen wurde 2018 als Spin-off des Massachusetts Institute of Technology (MIT) gegründet und hat das Ziel, ein kompaktes Fusionskraftwerk auf Basis des ARC-Tokamak-Kraftwerkskonzepts zu bauen. Um es einfach zu erklären: Die Fusion zweier Wasserstoffatome ist eine physikalische Reaktion, bei der eine enorme Menge an Energie freigesetzt wird, ohne dass dabei Treibhausgase, Schadstoffe oder hochradioaktive Substanzen entstehen. Sie findet seit Milliarden von Jahren in der Sonne und in jedem anderen Stern statt. Laufende Forschungsprogramme, darunter das von Commonwealth Fusion Systems, zielen darauf ab, sie in magnetischen Einschlussreaktoren erfolgreich in industriellem Maßstab zu reproduzieren. Dies würde eine sichere, kohlenstofffreie und potenziell unbegrenzte Energiequelle darstellen. ENI ist auf diesem Gebiet zusammen mit dem MIT Vorreiter.
Gute ESG-Ratings für Shell und ENI
Das sind nur zwei Beispiele, wie Big Oil in alternative und erneuerbare Energien investiert. Damit verbessert sich auch ihr ESG-Rating. So hat Shell mittlerweile ein AA-Rating beim MSCI ESG-Score. Und ENI wurde von MSCI mit dem ESG-Rating „A“ bestätigt und als führend in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit sowie Kohlenstoffemissionen eingestuft.
Noch ist es nicht genug, was Big Oil in Sachen Nachhaltigkeit produziert und investiert. Aber man gibt sich große Mühe, was sich auch an den heute schon ordentlichen ESG-Ratings ablesen lässt.
Der Autor: Hans Peter Schupp ist Vorstand der FIDECUM AG und Portfoliomanager des Contrarian Value Euroland Fonds