Value Kolumne von Hans Peter Schupp
19. DEZEMBER 2025
Aktien 2026: Europa – das leise Comeback
Hans Peter Schupp, Vorstand der Fidecum AG und Portfoliomanager des Contrarian Value Euroland Fonds (ISIN: LU0370217092) skizziert die Perspektiven für europäische Aktien im Jahr 2026.
Die vergangenen 15 Jahre waren ein einziger Triumphzug des amerikanischen Aktienmarktes. Mehr Wirtschaftswachstum, größere Ertragsdynamik, Tech-Euphorie und wirtschaftsfreundliche Politik sorgten für anhaltende Kapitalzuflüsse. In deren Folge stiegen sowohl die Aktienkurse als auch die Kurs-Gewinn-Verhältnisse deutlich an.
In den Strategiepapieren und Anlageausschuss-Sitzungen kam Europa deshalb lange nur noch am Rande vor. Im Vergleich zu den USA galt der alte Kontinent als zu langsam, zu reguliert, zu wenig innovativ. Wer wollte hier schon investieren?
Heute ist Europa im Vergleich zu den USA ungeliebt, unterinvestiert und unterbewertet. Der amerikanische Markt wird im Schnitt mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 31 bezahlt, getragen von den großen Technologiewerten. Der STOXX 600 bringt es gerade einmal auf ein KGV von 18 – einfach, weil in ihren Kursen deutlich weniger Erwartung eingepreist ist. Im MSCI World kommt Europa nur noch auf etwa 15 bis 16 Prozent. Der Anteil amerikanischer Aktien liegt dagegen bei 72,5 Prozent – eine nie dagewesene Dominanz.
Money Flow: Ein kleiner Markt mit großem Hebel
Wir finden diese Ausgangssituation mit Blick auf 2026 interessant. Schließlich hat die Ausnahmestellung der USA angesichts von Trumps Abschottungspolitik schon im Verlauf des letzten Jahres einige Risse bekommen. Immer häufiger fragten Analysten und Strategen, ob der Bewertungsabstand zu anderen Märkten, wie Europa, noch gerechtfertigt ist.
Schon kleine Änderungen in der Anlagepräferenz könnten künftig große Auswirkungen haben. Angenommen, internationale Anleger würden nur fünf Prozentpunkte ihrer Aktienanlage von US-Aktien in Europa-Papiere verschieben, hätte dies mit hoher Wahrscheinlichkeit einen deutlichen Einfluss auf die dortigen Aktienkurse. Das Gewicht Europas im MSCI World stiege auf 20 bis 21 Prozent – ein Zuwachs um mehr als 30 Prozent. Es braucht also gar keine weltweite Begeisterung für europäische Firmen. Schon eine moderate Veränderung der Allokation aus Gründen der Diversifikation würde vermutlich ausreichen, um auf diesem mittlerweile vergleichsweise kleinen europäischen Markt eine sichtbare Bewegung auszulösen.
Natürlich müsste dies auch durch fundamentale Veränderungen untermauert werden. Sollten sich die Perspektiven in den USA ein Stück weit eintrüben, könnte Europa vom Randthema zur naheliegenden Alternative im Portfolio werden. Unmöglich ist das nicht.
USA: Innovationsmacht mit wachsendem politischem Risiko
Die Vereinigten Staaten bleiben zwar sicherlich auch im nächsten Jahr der globale Innovationsmotor und die Heimat der wichtigsten Tech-Konzerne. Zugleich steigt dort aber auch die politische Volatilität: Handelskonflikte, Zölle, Sanktionen, präsidiale Dekrete, aggressive Migrationspolitik.
„America First“ mag einzelne Branchen stützen, erzeugt aber auch Unsicherheit über Wertschöpfungsketten, Standortentscheidungen und Fachkräfteangebot. Im Niedriglohnsektor werden gerade die Arbeitskräfte verdrängt, auf die das System seit Jahren bauen konnte. Gleichzeitig wird das Angebot an qualifizierten Kräften eingeschränkt: Universitäten geraten zunehmend unter politischen Druck, Fördergelder werden gekürzt oder gestrichen, wenn eine Hochschule als nicht linientreu gilt. Für ausländische Fachkräfte wird der Weg über Visa, Steuern und Bürokratie erschwert.
Hinzu kommt eine Zollpolitik nach Gutdünken: Zölle werden gesetzt, erhöht oder wieder heruntergenommen, wenn es gerade in die politische Strategie passt. Dahinter stehen weniger ökonomische Kalküle als wechselnde Ziele – und genau das macht die Folgen für Preise, Lieferketten und Standorte unkalkulierbar. Dazu passt das offene Interesse an einem möglichst schwachen Dollar: Es hilft der amerikanischen Exportindustrie, lässt aber für internationale Anleger den Wert ihrer US-Investments in der Heimatwährung schrumpfen.
Der deutliche Bewertungsaufschlag, den Investoren US-Aktien lange Zeit für Dynamik, Stabilität und Qualität eingeräumt haben, wirkt vor diesem Hintergrund weniger gut untermauert. Politisches Risiko und Währungsrisiko rücken vom Kleingedruckten in den Haupttext vieler Analysen.
Hinter dem Krisenbild: Europas unterschätzte Robustheit
Derweil verbessert sich die Situation in Europa langsam, aber stetig. Noch immer hängen viele Anleger dem Bild vom „kranken Mann Europa“ an. Jahrzehntelang stand der Kontinent auch tatsächlich für Stagnation, Krisen und Reformstaus. Unter der Oberfläche hat sich aber in den vergangenen Jahren einiges verändert. Europa hat Finanz- und Eurokrise, Pandemie und Energiepreisschock überstanden, ohne auseinanderzufallen. Die Arbeitslosigkeit im Euroraum liegt auf historischen Tiefstständen, Ungleichheit und Armutsquoten sind bedeutend niedriger als in den USA, die Gesundheitssysteme leisten mehr für weniger Geld. Die Politik ist werteorientiert und weniger erratisch. Und nun sorgen auch noch das deutsche Infrastrukturpaket und die massiven Investitionen in Verteidigung für einen Nachfrageschub.
In einer Welt, in der Unsicherheit dominiert, ist das kein schlechter Ausgangspunkt. Europäische Unternehmen überzeugen durch erprobte Geschäftsmodelle und leben weniger von großen Versprechen. Ihre Ertragsprofile sind überschaubarer und nachvollziehbarer als die großer Wachstums-Stories der USA und die Dividendenrendite ist höher – 3 Prozent im Vergleich zu 1 Prozent. Das ist nicht spektakulär – kann aber in einem Umfeld, in dem die Rendite wieder stärker gegen das Risiko abgewogen wird, ein Vorteil sein.
Europe 2026: Eine Diversifikationsstory
Wenn ein dominierender Markt nicht mehr ganz so außerordentlich ist wie gewohnt und ein vernachlässigter Markt sich etwas verbessert, kommen Kapitalströme oft in Bewegung. 2026 spricht einiges dafür, dass internationale Investoren die Gewichtungen in ihren Portfolios adjustieren: eine Nuance weniger Amerika, eine Nuance mehr Europa. Dieser Geldstrom kann den europäischen Aktienmarkt stärker bewegen, als es jede politische Rede aus Brüssel vermag.
„Europa – das leise Comeback“ bedeutet daher nicht, die strukturellen Probleme des Kontinents zu negieren. Es ist Ausdruck unserer Überzeugung, dass Teile des internationalen Risikokapitals künftig dorthin verlagert werden, wo Bewertungen niedriger, Cashflows berechenbarer und die politische Dramaturgie etwas weniger operettenhaft sind. Für die große Schlagzeile mag das nicht taugen. Für langfristige Anleger könnte es aber genau richtig sein.
Unser Investment-Ansatz
Seit 25 Jahren folgt der Contrarian Value Euroland Fonds (ISIN: LU0370217092) konsequent dem Grundsatz, in unterbewertete europäische Unternehmen mit solidem Geschäftsmodell und langfristigem Potenzial zu investieren. Wir agieren wie Unternehmer, die eine ganze Firma erwerben würden – und sind bereit, uns, wenn nötig, gegen die Marktmeinung zu stellen.
Der Autor:
Hans Peter Schupp, Vorstand der Fidecum AG und Portfoliomanager des Contrarian Value Euroland Fonds.